: Tschäppät. Ein Name – 100 Jahre Bern. Thun 2016 : Werd & Weber Verlag AG, ISBN 978-3-03818-100-2 320 S.

: Alec von Graffenried – Mein Bern. 77 Erlebnistipps des Stadtpräsidenten. Thun 2018 : Werd & Weber Verlag AG, ISBN 978-3-03818-151-4 256 S.

von
Emil Erne

Im gleichen Verlag sind nacheinander zwei Bücher erschienen, die drei Berner Stadt-präsidenten gewidmet sind: das eine den beiden legendären Tschäppäts, Vater Reynold (1917 – 1979) und Sohn Alexander (1952 – 2018), die 1966 – 1979 eziehungsweise 2005 – 2016 im Amt waren, das andere dem seit 2017 amtierenden Stadtoberhaupt Alec von Graffenried (geboren 1962). Alle drei hatten und haben nur ein Thema: die Stadt Bern, der sie privat, beruflich und als Politiker schicksalhaft verbunden sind. Alle drei waren und sind sie begnadete Propagandisten ihrer Stadt, die sie mit Goethe für die schönste halten. Von Graffenried sagt einfach: «Mein Bern», und der Name Tschäppät steht für nichts weniger als «100 Jahre Bern». Die Kontinuität im Amt zieht offenbar auch die Kontinuität im euphorischen Verhältnis zur eigenen Wirkungsstätte nach sich.

Formal und inhaltlich sind die beiden Bände einander wenig ähnlich: Während jener über von Graffenried als grossformatiger Bildband mit 200 meist farbigen Abbildungen daherkommt, präsentiert sich der Tschäppät-Band mit 196 Abbildungen (84 schwarz-weiss, 112 farbig) zwar als ebenbürtig, ist aber nur etwa halb so gross und bietet dafür mehr Text. Alle Autoren (wie auch die Stadtpräsidenten alles Männer) schreiben für ein breiteres Publikum, stützen sich auf Fachwerke, weisen jedoch Quellen und Literatur nur pauschal oder gar nicht nach.

Der Hauptbeitrag über die Tschäppäts stammt vom Zürcher Politikwissenschaftler Philipp Schori. Er beginnt die Familiengeschichte mit Reynolds Vater Henri Tschäppät (1889 – 1975), der 1918 aus dem Berner Jura nach Bümpliz gezogen war und sich kurze Zeit in der Kommunistischen Partei engagiert hatte, worüber in der Familie später nie mehr gesprochen wurde. Nach dieser Vorgeschichte schildert er die private Entwicklung, den beruflichen Werdegang und die Ämterkarrieren von Reynold und Alexander chronologisch gegliedert in die Etappen Jusstudent, Jurist, Stadtrat, Gemeinderat, National rat und Stadtpräsident, wobei der Sohn jeweils rund drei Jahrzehnte später getreu den Spuren des Vaters folgte. Kenntnisreich verbindet Schori Fakten und Daten aus dem Leben der beiden mit wichtigen bernischen, schweizerischen und internationalen Ereignissen sowie mit verbürgten Anekdoten zu einem spannend zu lesenden Stück Berner Stadtgeschichte.

Eine direkte Ergänzung dazu stellt das Kapitel des Berner Journalisten Bernhard Giger über die turbulente Stadtentwicklung Berns seit den 1950er-Jahren dar. Er spannt den Bogen von der Modernisierung der Stadt im Zeichen der Hochkonjunktur mit den Grosssiedlungen im Westen und im Osten über die Phasen der Stagnation und die politischen und sozialen Konsequenzen bis zum erneuten Aufbruch nach der Jahrtausendwende. Vater und Sohn Tschäppät, beide auch Planungsdirektoren, standen teilweise vor den gleichen Aufgaben, etwa der Wohnungsnot. Beide konnten aber auch Bauprojekte von überregionaler Bedeutung zu Ende bringen, zum Beispiel einen neuen Hauptbahnhof. Aber während der Vater die «neue» Stadt noch bauen konnte, musste der Sohn neue Wege der Weiterentwicklung finden.

Der Historiker Jürg Müller-Muralt geht in seinem Aufsatz basierend auf Gesprächen mit Zeitzeugen differenziert und amüsant zu lesen dem Phänomen Tschäppät nach: dort der allseits respektierte Stadtvater alter Schule, hier der gewiefte Politiker, der es durch seine «kumpelhaft-schlagfertige Präsenz» (S. 248) zum bekanntesten Stadtpräsidenten der Schweiz brachte. Die beiden verkörpern anschaulich den Wandel des politischen Stils. Ferner versucht Müller-Muralt, die «Magie des Namens» zu ergründen, die zu Dynastien und Politikerfamilien führen kann. Zwar gibt es in Demokratien keine Erbfolge bei politischen Ämtern mehr, aber dass Söhne oder Töchter in die Fussstapfen ihrer Eltern treten, ist doch nicht so selten. Er listet über ein Dutzend Fälle auf, in denen ein bekannter Name hilfreich war, etwa bei Erich Fehr, der nach 21 Jahren seinem Vater Hermann im Amt des Stadtpräsidenten von Biel nachfolgte.

Zwei persönliche Texte leiten den Band ein. An das freundschaftliche Vorwort des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit, schliesst die Hommage des Journalisten und Autors Walter Däpp an, der Alexander Tschäppät würdigt als Mensch und Politiker mit all seinen Stärken und Schwächen, seiner Volksnähe, seinem Humor, seiner direkten Art, aber auch seiner Feinfühligkeit und Verletzlichkeit. Er endet mit einem Ausblick in die Zeit nach dem Stadtpräsidium, für Tschäppät eine Zeit der Ungewissheit und eine eher beklemmende Vorstellung; «ich hoffe, in Würde älter zu werden – und dann zu gehen» (S. 30), sagte er. (Seither wissen wir: Schon wenige Monate nach dem Rücktritt brach die Krankheit aus, an der Alexander Tschäppät im Mai 2018 verstarb.)

«Er verkörperte die Stadt Bern», schreibt Walter Däpp über Alexander Tschäppät (S. 26). Nur eine Woche vor seinem Tod erschien das zweite hier zu besprechende Buch. Alec von Graffenried übernahm mit dem Stadtpräsidentenamt nahtlos auch die Aufgabe, oberster Vermarkter der Stadt Bern zu sein. Hier aufgewachsen als Angehöriger eines alten Patriziergeschlechts, dürfte ihm die Identifikation mit Bern nicht schwergefallen sein. Offenbar ging die Idee zu vorliegendem Buch vom Verlag aus, der Anstoss, «zusammen durch Bern zu streifen und dabei Erinnerungen aufzuwärmen, Geschichten nachzuspüren, Verstecke zu entdecken» (Alec von Graffenried in der Einleitung, S. 5). Die «77 Erlebnistipps des Stadtpräsidenten» bestehen aus meistens zwei bis drei, maximal sechs Seiten langen Beiträgen, die immer gleich aufgebaut sind: Am Anfang steht eine kurze Einführung, in der von Graffenried meistens seinen persönlichen Bezug nennt und mitunter auch Privates preisgibt; danach erörtert der Luzerner Publizist und Journalist Hans R. Amrein den jeweiligen Hintergrund. Alles ist mit häufig ganz- oder gar doppelseitigen Abbildungen illustriert, wobei auf rund 70 Fotos der Stadtpräsident selbst erscheint – Repräsentationspflichten sind ihm offenbar nicht zuwider. Den Band beschliessen seine «Visionen für Bern», die er 2017 an der Berner Fachhochschule vorgetragen hat, ferner Stadtpläne und die 77 Adressen. Was die Herkunft der verwendeten Unterlagen betrifft, so ergeben Stichproben die Vermutung, dass viele Texte aus Wikipedia oder von anderen Internetseiten ohne weiteren Nachweis wortwörtlich übernommen worden sind ...

Die Tipps werden in die Themenbereiche Geschichte, Kultur und Kunst, Bauen und Architektur, Sport und Freizeit sowie besondere Treffpunkte gegliedert; im letzten Drittel wirkt das Buch wie ein Gastro- und Shoppingführer, wobei sich traditionelle und neue Betriebe die Waage halten. Die Auswahl der Lieblingsorte sei völlig zufällig (Einleitung, S. 5); das stimmt insofern, als noch weitere Orte hätten aufgenommen werden können. Immerhin kommen ausser Zytglogge und Rosengarten die meisten touristischen Hotspots vor. Ferner sind die Stationen von Alec von Graffenrieds bisheriger Biografie (u.a. Bremgartenwald, Gymnasium Neufeld, Universität, Amthaus, Bundeshaus, Erlacherhof) und die Stätten seiner Aushilfsjobs (Migros-Filiale Zähringer, Restaurant Zimmermania, Radio ExtraBE) alle beschrieben, auch wenn sie für Aussenstehende nicht unbedingt «besondere Treffpunkte» sein dürften. Was von Graffenried schön zeigt: Nicht nur das alte Bern ist sehenswert, in den letzten Jahren ist einiges neu entstanden, was Bern eine moderne Urbanität und eine spannende Zukunftsperspektive verleiht. Insofern ist «Mein Bern» ein vielversprechendes Regierungsprogramm des neuen Stadtpräsidenten.

Zitierweise:
Emil Erne: Rezension zu: Däpp, Walter; Giger, Bernhard; Müller-Muralt, Jürg; Schori, Philipp: Tschäppät. Ein Name – 100 Jahre Bern. Thun / Gwatt: Werd & Weber 2016. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 4, 2018, S. 65-68. / Zitierweise:
Emil Erne: Rezension zu: Amrein, Hans R.: Alec von Graffenried – Mein Bern. 77 Erlebnistipps des Stadtpräsidenten.Thun / Gwatt: Werd & Weber 2018. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 4, 2018, S. 65-68.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 4, 2018, S. 65-68. /

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